Zwei Stunden vor Rennbeginn pustet ein dicker Trecker zwei dunkle Rußwolken in den Himmel, presst einen Ackerpflug in die Erde und knetet die ovale Rennstrecke im Schneckentempo durch. "Herrlich", raunt Scott Woodhouse, seines Zeichens Chef des Kings Speedway in Hanford, Kalifornien.
Es ist eine von vielen Naturrennstrecken entlang der Westküste der USA. Diese einfachen Ovale sind nicht asphaltiert, hier wird auf Erde gefahren. Mit den letzten Sonnenstrahlen gräbt Scott prüfend seine rechte Hand in den Boden und winkt dem Wasserwagen zu. "Da muss noch ’ne Ladung drauf, dann verdichten wir die feuchte Erde ein paar Runden lang, und die Show kann beginnen."
Unaufgeblähter MotorsportAuf das Sprint-Car-Rennen freut sich Markus Niemelä, er lehnt 50 Meter neben der Strecke an einer Werkbank in dem geschlossenen Autoanhänger seines Teams und schlürft eine Dose Cola. Markus ist Finne, 29 Jahre alt und lange schon Profi im internationalen Rennzirkus. Er kennt den Rummel in Boxengassen, weiß um den Poker bei Vertragsverhandlungen und das gespielte Glück mit engagierten Teamkollegen. Markus ist erfolgreich Formel Renault, Formel BMW und Formel Atlantic gefahren. Er hat DTM-Luft geschnuppert und wie alle jungen Fahrer von der Formel 1 geträumt.
Dass ihn seine Lebensgeschichte in diesen Trailer geführt hat, macht ihn nicht traurig. Im Gegenteil, entspannt erzählt er von der Sprint-Car-Szene. Davon, wie unkompliziert hier alles ist. Es gibt keine Diven, dafür steigen auch viele namhafte Rennfahrer immer mal wieder gern in die kleinen Monsterflitzer und fahren Rennen. Weil es hier genau darum geht – um echten, unaufgeblähten Rennsport. Einigermaßen bezahlbar und ohne künstlichen Rummel. Markus’ Augen funkeln, dann schaut er auf die Uhr, zerdrückt die Coladose und deutet auf die offene Ladeklappe.
Draußen ist die Nacht längst über die Boxengasse gekrochen, die einer kahlen Wiese gleicht. Absperrungen? Gibt es genau so wenig wie eine Stallordnung. Die Trailer der Teams parken in einer wilden Reihe, davor wird unter Neonlicht an den Rennwagen geschraubt. Benzin- und Öldämpfe mischen sich mit warmer Luft, Pressluftschrauber heulen.
Die Boliden lassen sich am besten als übergroße, robuste Karts beschreiben, die mit einem massiven Überrollkäfig und einem 360-Cubic-Inch-V8 bestückt sind. Das Reglement umreißt die zugelassenen Anbauteile genau. Turbos etwa sind nicht erlaubt.
Dafür eine Einspritzung. Damit feuert so ein V8 locker 650 PS auf die Hinterachse – und zwar direkt. Denn Kupplung und Getriebe gibt es nicht. Zum Start werden die 600 Kilogramm leichten Sprint Cars angeschoben, um sich dann auf der hell beleuchteten Strecke für ein paar Runden warmzubrüllen. Danach bekommt jeder Fahrer die Chance auf eine schnelle Runde mit fliegendem Start. Der Rekord des Abends liegt bei etwas über 16 Sekunden für die rund 600 Meter lange Runde. Um optimal durch die beiden 180-Grad-Kurven zu driften, haben die kurvenäußeren Hinterräder einen größeren Durchmesser als die inneren.
Nach dem Zeittraining füllt sich die Tribüne, alle großen Flutlichter strahlen jetzt maximal hell, und Scott der Promoter ruft laut das erste von drei Heats aus. In den heißen Rennen – die Anzahl dieser ersten Vorläufe hängt von den angemeldeten Sprint Cars ab – starten die Fahrer in kleineren Gruppen. Nach zehn Runden steht fest, welche sechs sich für das nächste Vorrennen qualifiziert haben, bei dem ebenfalls nur ein paar Fahrer weiterkommen.
Dann findet das Hauptrennen des Abends statt. Markus Niemelä hat sich dafür qualifiziert und rollt mit den 17 Schnellsten des Abends um den Kurs – sie alle warten auf den letzten fliegenden Start. Das Publikum steht und brüllt auf den Rängen, dann brüllen die V8-Motoren über die kurze Gerade. Hinein geht’s in die erste Kurve, die sofort voller quer stehender Sprint Cars ist. Was für ein Getümmel.
Rempeln erlaubtEin Wunder, dass da alle heil durchkommen. Natürlich wird gerempelt, geschoben und gedrückt, dann kurz Vollgas auf der anderen Geraden, anstellen und rein in die zweite Kurve. Wir beobachten das Getümmel aus der Mitte der Strecke und spüren die Druckwelle, die dieses Feld erzeugt. Wahnsinn, wie schnell der Pulk um das Oval hämmert, die Führung wechselt, die Spannung steigt. Am Ende kämpft Markus um den dritten Platz, er verliert ihn knapp. "Das gehört dazu", schmunzelt er mit geweiteten Pupillen und einem schlammverschmierten Gesicht.
Derweil parken die drei Bestplatzierten vor der Tribüne, Kinder laufen zu den Rennwagen und umarmen ihre Väter, das Publikum applaudiert. So einfach und ehrlich kann Rennsport sein.
Von Dani Heyne am 9. April 2014
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